Mein aktuelles Buch Krieg – Stadt gegen Land befasst sich im Kern mit Auseinandersetzungen, die in Deutschland schon Jahrzehnte latent unter der Oberfläche wabern und seit 2015 wie Eruptionen ausbrechen. Corona hat sie 2020 so richtig an die Oberfläche gespült und die Invasion Russlands in die Ukraine hat den Krieg real werden lassen. Russland repräsentiert dabei die Weltsicht von Land, die Ukraine repräsentiert aus russischer Sicht die Verkommenheiten verweichlichter (=verwestlichter) Stadtmenschen, vor denen das Brudervolk befreit werden müsse.
Während aus der Stadt-Sicht ein von toxischer Männlichkeit besoffener Putin mit martialisch-patriarchischer Brutalität ein souveränes, sich emanzipierendes Land spätestens seit 2004 attackiert (Giftanschlag auf Juschtschenko, Annexion der Krim, Einmarsch in den Donbass), sieht das Ganze aus der Land-Sicht gänzlich anders aus: Bereits die Orange Revolution 2004 sei von westlichen Geheimdiensten inszeniert, Juschtschenko und Tymoschenko NATO-Agenten, der Maidan-Protest ein faschistischer Putsch, die Annexion der Krim und die Besetzung des Donbass Friedensmissionen, um die malträtierte pro-russische Bevölkerung vor dem Genozid durch ukrainische Faschisten oder wahlweise vor dem schändlichen Einfluss durch Schwule und Transgender-Ideologen zu schützen.
Der Konflikt „Stadt gegen Land“ stellt sich auch in unserer Gesellschaft aus beiden Perspektiven völlig unterschiedlich dar:
Nüchtern betrachtet überrascht es nicht, dass aus Sicht beider Seiten jeweils die anderen den Krieg begonnen hätten:
Land sieht sich durch jüngere Entwicklungen (insbesondere das grüne integrationsoffene Meme) in die Defensive getrieben und glaubt, sich gegen Globalisierung, Entfremdung, kulturelle Entwurzelung und – metaphorisch gesprochen
– Kastration der Manneskraft verteidigen zu müssen.
Stadt empfindet die (durch das rote Meme aggressiv radikalisierten) anti-modernen Protestbewegungen (Islamismus, neurechte Bewegungen, Querdenken) als Bedrohung der liberal-demokratischen offenen Gesellschaft.
Dabei geht es nicht um Wahrheit – verstanden als gefühlte Reaktion auf äußerliche Umstände, auch nicht um Intelligenz oder Bildung, schon gar nicht um Status. Das Modell der Spiral Dynamics zeigt, durch welche kulturellen Memes Stadt und Land geprägt sind. Die Memes auf der oberen Hälfte der Spirale sind jünger und reagieren auf bzw. erzeugen eine höhere Komplexität als die älteren Memes auf der unteren Hälfte der Spirale. Keines der Memes ist besser oder schlechter. Ein gesellschaftlicher Status ergibt sich nicht zwingend durch die Ausprägung jüngerer Memes, sondern inwiefern Memes von einen Menschen integriert wurden: körperlich, emotional sowie geistig und spirituell.
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