Gute Geister, böse Geister – Esoteriker im politischen Widerstand

Irgendwie läuft es nicht so rund zwischen Spiritualität und Politik. Vor ein paar Wochen habe ich dazu einen längeren Artikel veröffentlicht, indem ich auch zwischen Spiritualität  und  Esoterik differenziere.

Reptiloider Drache mit Querdenkerbommel

 

Böse Wirkkräfte

In spirituellen Kreisen höre ich öfters, dass es böse Kräfte gäbe, die uns Menschen an der Entfaltung hindern wollen. Dabei vermisse ich die Betonung darauf, dass mit „Kräfte“ nicht irgendwelche konkreten Personen oder Personengruppen gemeint sind, sondern Kräfte, die in jedem von uns wirken – einmal mehr, einmal weniger, heute hier, ein anderes Mal dort stärker. Mitunter wird gesagt, diese Kräfte hätte von einer Person Besitz ergriffen. Die Person sei sozusagen von einem Dämon besetzt. Die Reptiloiden-Theorie liefert den Ansatz für solche Zuschreibungen unter scheinbarer Beibehaltung humanistischer Werte. Ich möchte das nicht als „esoterischen Blödsinn“ abtun, lediglich auf eines hinweisen: Wer jetzt denkt: „Ah, diese und jene Politiker, diese und jene Unternehmer sind besetzt.“ ist genau in dem Moment dieses Gedankens gerade von der destruktiven Kraft ergriffen, öffnet ihr das Einfallstor.

Schwarz-Weiß-Denken führt zu Spaltung. Feindbild-Denken führt zu Krieg.

Eines Abends erzählte ein alter Cherokee-Indianer seiner Enkelin am Lagerfeuer von einem Kampf, der in jedem Menschen tobt: „Mein Kind, der Kampf wird von zwei Wölfen ausgefochten, die in jedem von uns wohnen. Der eine Wolf ist voll Zorn, Neid, Eifersucht, Sorgen, Schmerz, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Vorurteile, Minderwertigkeitsgefühle, falschem Stolz und davon überzeugt, wir alle stünden im Wettbewerb gegeneinander. Der andere Wolf ist voller Liebe, Hoffnung, Heiterkeit, Demut, Dankbarkeit, Wohlwollen, Zuneigung, Großzügigkeit, Aufrichtigkeit, Mitgefühl und weiß, dass wir Menschen alle miteinander verbunden sind.“ Das Kind dachte einige Zeit über die Worte nach und fragte dann: „Welcher der beiden Wölfe wird gewinnen, Großvater?“ Der alte Cherokee antwortete: „Der Wolf, den du fütterst.“

Welchen Wolf fütterst du?

Welchen Wolf füttert Xavier Naidoo, wenn er in seinen Videos Adrenochrom-Geschichten erzählt? Welchen Wolf füttert Attila Hildmann, wenn er auf Twitter gegen die Rothschilds wettert und ankündigt, sich zu bewaffnen? Welchen Wolf füttert die Heilpraktikerin, wenn sie auf Facebook bunte Bild-Texttafeln mit der Botschaft verbreitet, wir würden von einer Clique Verbrechern regiert?

Das Cherokee-Gleichnis – wenngleich in einem prä-rationalen Kulturkreis verortet – veranschaulicht uns auch für die trans-rationale Welt etwas sehr praktisches: Egal wie unübersichtlich, überfordernd und komplex wir unsere Umwelt wahrnehmen, wir haben für unser Denken und Handeln die Verantwortung. Dass es sich dabei um symbolische zwei Wölfe handelt, hat nichts mit mit Schwarz-Weiß-Denken zu tun. Es macht vielmehr deutlich, dass wir Schubladen, in denen wir Menschen oder Sachverhalte gerne archivieren, den lodernden Flammen des Lagerfeuers übergeben sollten. Wir brauchen sie nicht, denn wir können in jedem einzelnen Moment – so er uns bewusst ist – entscheiden, welchen Wolf wir füttern wollen. Wenn es so etwas wie spirituelles Grundlagenwissen gäbe, dann wäre das die Einsicht, dass die innere Haltung unseres Geistes bestimmt was und wie wir uns selbst, die Welt, unsere Mitmenschen sehen, dass es unser Geist ist, der sich auf das was wir sehen, seinen Reim macht. Je höher der Grad unseres Bewusstseins, desto klarer wird auch der Sinn für intersubjektive Vernetzungen und unser Verantwortungsgefühl dafür, was wir wahrnehmen, was wir erleben, wie wir darauf reagieren und dass es unsere Deutungen und Vermutungen sind, mit denen wir unser Bild von der Welt und den Geschehnissen kreieren. Umso irritierender empfand ich in den Tagen des Corona-Lockdown Stimmen aus spirituellen Kreisen, die Politiker dafür verantwortlich machten, dass Eltern-Kind-Beziehungen unter’m Home-Schooling gelitten haben, wenn Menschen ihren Partner nicht mehr leiden mochten und sich getrennt haben, für die Zunahme an häuslichen Gewaltverbrechen oder wenn jemand sich durch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in öffentlichen Verkehrsmitteln in seiner spirituellen Entfaltung gebremst fühlt. Emotionen und Gedanken wie diese entspringen keinem höheren Selbst. Sie entspringen dem in Bedrängnis geratenem Ego.

Wie Gruppenidentifikation spirituelle Entfaltung zunichte macht

Wir Menschen sind soziale Wesen, miteinander verbunden. Gruppenidentifikation ist evolutionshistorisch begründet. In modernen Gesellschaften führt Gruppenidentifikation jedoch immer mehr zu Konflikten als dass sie Frieden stiftet. Die Solidarisierung mit einer Gruppe forciert die tendenziell feindselige Abgrenzung gegenüber einem Außen, dem Rest der Gesellschaft. So entsteht ungewollt Zwietracht.

In spirituellen Kreisen habe ich mehr als einmal gehört, dass sie die Quelle der Zwietracht beim „Mainstream“ verorten. Ich kann gut nachvollziehen, dass das so aussieht, wenn ARD und ZDF Dokumentationen über „Verschwörungstheorien“ ausstrahlen, wenn Karl Lauterbach sich gegen Impfkritiker positioniert, wenn in den Nachrichten über so genannte Hygienedemos berichtet wird und dabei die Kamera einen Schwenk macht über „QAnon“-Schilder bevor anschließend das Fernsehteam angegriffen wird. In Reaktion auf das „verzerrte Bild in den Mainstream-Medien“ solidarisieren sich Menschen lieber mit Attila Hildmann, Wolfgang Wodarg oder Xavier Naidooo. Dann fällt es leichter, sich gegen Bill Gates, Jens Spahn und „dem ganzen Staat“ zu postieren einschließlich dem Schulterschluss zu Menschen, die Gewalt propagieren oder einen Bürgerkrieg heraufbeschwören. Warum ist das so? Weil es eben nicht mehr um eine Sache geht, sondern um das identitätsstiftende gemeinsame Feindbild. Aber identitäre Identifikationen sind irrational: Man wird blind für den „bösen Wolf“ in den eigenen Reihen und blind für den „guten Wolf“ beim „Gegner“.

In krisenhaften Zeiten gehen die emotionalen Wogen hoch und so erfolgt eine Solidarisierung auch mit jenen mit denen man rein sachlich wenig gemeinsam hat. So kommt es, dass man sich angesprochen fühlt vom Vorwurf, ein „Verschwörungstheoretiker“ zu sein, auch wenn man zunächst gar keine Verschwörungsvermutung geäußert hat, sondern einfach aus egozentrischen oder vermeintlich spiritualistischen Motiven an einer Hygienedemo teilgenommen hatte.

Menschen, die sich seit Jahren innerhalb esoterischer Szenen bewegen, tun dies vor allem aus Identitätsgründen. Sachgründe haben allenfalls zu Beginn eine Rolle gespielt, als es um die Entscheidung ging, mit wem man sich verbündet und mit wem nicht. Danach konnte die Zugehörigkeit kaum noch erschüttert werden.

Die Identifikation selbst ist es, die Zwietracht entstehen lässt. Ganz gleich auf welcher Seite. Dies beweist einmal mehr, dass Identifikation mit was auch immer: dem eigenen Körper, der Krankheit, dem Beruf, der sozialen oder ethnischen Herkunft, der Nationalität, aber auch der Identifikation als „spiritueller Mensch“, als „Erwachter“, als „Geistwesen voller Liebe“ einen spirituellen Rückschritt darstellt. Im Klartext: Identifikation und Spiritualität schließen sich kategorisch aus!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Artikel enthält Auszüge aus dem im Mai erschienenen Buch Deutschland in der Krise.

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