Es gibt in unserer Gesellschaft komplexe, sich durchaus widersprechende Interessenlagen und Anspruchsbekundungen, die es auszubalancieren gilt. Dieses Ausbalancieren geschieht auf mehreren Ebenen
und Gremien, vom Gemeinderat bis zu den Vereinten Nationen, in Parlamenten durch gewählte Vertreter, Lobbygruppen (was prinzipiell nichts falsches ist), Verwaltungen und Ämter, in denen
Entscheidungen zu Sachlagen nach Verordnungen und Ermessen getroffen werden müssen. Dass dieses Ausbalancieren gerecht ist, wird gerne in Zweifel gezogen – ob zu Recht oder Unrecht, steht mir zu
bewerten gar nicht zu, denn ich bin genau wie jeder andere in keiner Hinsicht neutral.
Balanceakt auf der Pyramide
Die Komplexität dieses Ausbalancier-Prozesses erhöht sich dauernd. Dies ist das Ergebnis unserer immer weiter steigenden Ansprüche. Denn es geht längst nicht mehr nur um Brot und Spiele.
Gottseidank bewegen sich immer mehr Menschen auf höheren Ebenen der Maslow’schen Bedürfnispyramide und differenzierte Bedürfnisse werden gern auch mithilfe findiger Anwälte durchgesetzt, aber
auch durch Mikropolitik außerhalb institutionalisierter Gremien in Form medialer Beiträge, dem Liken und Teilen in sozialen Netzwerken.
Mittelstandsdampfablassventil
Unternehmer beklagen gern die Abhängigkeit von öffentlicher Bürokratie. Das verstehe ich, bin ja selbst Unternehmer und im Unternehmercoaching mehrere Jahre tätig gewesen. Unternehmer vertreten
die Interessen ihres Marktes, ihrer Kunden und Mitarbeiter. Es gibt aber noch weitere Interessenlagen, die sich in Stadt- und Regionalplänen, Umweltauflagen, Sozialgesetzgebung und vielem mehr
niederschlagen. Ämter und Behörden übernehmen stellvertretend die Interessenvertretung aller übrigen Anspruchsgruppen. Das macht die Sache unpersönlich, abstrakt und weckt Widerstand. Der Vorwurf
der Behördenwillkür ist seinerseits eine komplexitätserhöhende Interessenbekundung.
Die Akzeptanz der Tatsache, dass es Partikularinteressen gibt, die entweder konsensiert oder in Kompromissen aufgehen, ist Voraussetzung für eine funktionierende demokratische Gesellschaft. Dies schließt aus, vom eigenen Standpunkt abweichende Meinungen und Einschätzungen als „böse Absicht“ oder „Heuchelei“ zu deuten. Vertrauen in demokratische Institutionen zu haben, bedeutet als unterlegene Partei sich dem abgestimmten Mehrheitswillen zu unterwerfen. So wie sich mir die wahrnehmbaren Verlautbarungen aus dem Umfeld der Querdenker darstellen, ist dort die Bereitschaft zunehmend gesunken – so sie denn anfangs noch vorhanden gewesen sein mag. Man glaubt sich im Besitz der Wahrheit und den mehrheitlichen Volkswillen zu vertreten. Gefühlte Demokratie ist jedoch keine Demokratie, sondern Totalitarismus.
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