Gesellschaftlicher Aufstieg: Karriere, steigender Lebensstandard, Umsatz- und Gewinnwachstum – das waren bis vor kurzem noch die treibenden Motivatoren für ehrgeizige Menschen. Im Westen, im Osten, aber auch im globalen Süden. Die Zeichen mehren sich, dass das als Sinn des Lebens, als Belohnung für Anstrengungen wie fleißiges Lernen und Arbeiten immer mehr an Geltung verliert. Nicht, dass kaum noch Menschen Interesse an einem komfortablen luxuriösen Leben hätten. Aber anders als noch vor 30 Jahren ist der Glaube an dieses Transzendenzversprechen heute stark erschüttert und die Gewissheit wächst, dass die gute alte Zeit nie mehr zurück kehren wird.
Hatten in grauer Vorzeit die Menschen durch Frömmigkeit, Unterordnung und Gottgefälligkeit darauf vertraut, nach einem entbehrungsreichem Leben paradiesisch belohnt zu werden, konnte seit den 1950er Jahren das Transzendenzversprechen der sozialen Marktwirtschaft im Westen Europas sowie das Transzendenzversprechen des sich entwickelnden Sozialismus im Osten an einer neuen materiell und ideell Jahr für Jahr reicheren Gesellschaft teilzuhaben, noch die Mehrheit in den Bann ziehen. Schon während der neoliberalen Hochkonjunktur in den 1980er und 1990er Jahren kamen immer mehr Menschen für sich zu der Gewissheit, dass der Zug für sie in diesem Leben abgefahren ist, in der Liga mitzuspielen, in der der Pokal des gesellschaftlichen Aufstiegs zu gewinnen war. Im ausgehenden Jahrzehnt sind nach und nach immer mehr Menschen vom Glauben an das neoliberale Wachstumsversprechen abgefallen. Zugleich erleben wir global eine Renaissance regionaler und nationaler Rückbesinnung. Dennoch: Westen, Osten und Süden wachsen zusammen. Wir leben alle auf nur einem Planeten. Das kann man als Drohung auffassen oder aber eben als Chance, sich der Herausforderung zu stellen, die die Menschheit durch ihren Lebenswandel größtenteils selbst produziert hat.
Wir erkennen, dass auch der neoliberale Kapitalismus keine ideologielose Gesellschaftsform ist. Immer mehr Menschen, Initiativen und Unternehmen machen sich auf, eine Wirtschaft mitzugestalten, die mehr als bisher den Menschen dient und dabei auch für die Umwelt nachhaltig ist. Sie bringen Produkte auf den Markt, die lange halten, die sozial und umweltverträglich produziert werden. Je normaler es für Unternehmer wird, Umwelt und Mensch nicht mehr als ausbeutbare Ressource zu betrachten, sondern ihr Geschäftsmodell so umzustellen, dass auch nachfolgende Generationen und Menschen im globalen Süden etwas von der Erde haben, desto lauter werden Stimmen hörbar, die das kritisieren: So ist es derzeit schwer in Mode, auf die Grünen und die Deutsche Umwelthilfe herumzuhacken. Sie werden als „Totengräber der Deutschen Wirtschaft“ verrufmordet. Elektromobilität und generell jede Transformationsbestrebung von fossiler zu erneuerbarer Energie wird als „ideologische Entgleisung“ deklariert, die wahlweise in vorindustrielle Rückständigkeit oder inhumanen Neokolonialismus mit einem Entwicklungsverbot für die Dritte Welt führen soll. Und weil man das Anliegen von Fridays for Future als Provokation für den bequemen ressourcenverschleundernden Lebenswandel empfindet, wird Greta Thunberg als geistig minderbemittelte Marionette einer menschenfeindlichen Weltverschwörung verunglimpft.
Solche derben Verurteilungen können wir in unserer Gesellschaft überhaupt nicht gebrauchen, in der ohnehin schon zu viele Menschen nervös und dauerverängstigt sind. Die Welt ist weder schwarz noch weiß, sondern bunt. Niemand hat das Recht, seine Sichtweise zur „allgemeinverbindlichen Wahrheit“ zu erklären. Ich appelliere an einen achtsamen Umgang miteinander. Ich wünsche mir eine stärkere Betonung von Gemeinsamkeiten bei unseren Bedürfnissen und was die wünschenswerte Zukunft betrifft. So ist die Vision vom Unternehmergarten von einer natürlichen Fülle geprägt, mit allen zivilisatorischen Errungenschaften, die uns Menschen das Leben erleichtern und verschönern.
Aber ein steigender Energieverbrauch, ein steigender Konsumverschleiß, Plastikmüll in den Meeren und die Tatsache dass viele Menschen unser derzeitiges Wirtschaftssystem als ungerecht empfinden ist kein wünschenswerter zivilisatorischer Fortschritt. Weder Konsum noch Energieverbrauch aus Gier noch manisch getriebene Investitionen aus Angst vor Altersarmut machen zufrieden oder glücklich. Das sind Betäubungsmittel, die immer weniger wirken. Wenn ich glückliche ausgeglichene Menschen treffe, darunter sehr erfolgreiche Unternehmer, dann sind das diejenigen, die immer weniger konsumieren müssen, weil sie es nicht brauchen. Dann sind das diejenigen, die achtsam und sparsam mit materiellen und energetischen Ressourcen umgehen – nicht aus Angst oder Geiz, sondern aus Liebe und Verbundenheit zur natürlichen Basis, der Basis unserer Wirtschaft, unseres Lebens.
Das Buch Anleitung zum gesellschaftlichen Aufstieg (2019) ist als Taschenbuch für 14,95 € sowie als Kindle-E-Book für 9,95 € erhältlich.
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